Die verkehrsberuhigenden Maßnahmen des Reuterkiezes dürfen bleiben. Wieder wurde eine Klage gegen einen Kiezblock abgelehnt. Zahlreich sind die Klageversuche, die Erfolge bleiben jedoch weitgehend aus. Oft wird gegen einzelne Poller oder Durchgangssperren geklagt, und dabei wird nicht berücksichtigt, dass hinter den Beschränkungen des Durchgangsverkehrs ein städtebauliches Konzept steht, das die Wohnkieze lebenswerter, klimaresilienter und sicherer macht. Kiezblocks kann man nicht mit Pollern gleichsetzen. Poller sind zwar oft die ersten sichtbaren Maßnahmen, aber deren Funktion wird offensichtlich nicht gut genug kommuniziert. Sie sind ja nicht in erster Linie da, um Autofahrer*innen zu ärgern, sondern sorgen zusammen mit weiteren Maßnahmen dafür, dass die Kieze ruhiger und sicherer werden. Zahlreiche Studien belegen, dass Verkehrsberuhigung der lokalen Wirtschaft nicht schadet, sondern diese oft fördert, weil die höhere Aufenthaltsqualität positiv auf das Einkaufserlebnis abfärbt. Bisher wurden Klagen für folgende Straßen / Kiezblocks abgelehnt: Tucholskystraße, Reuterkiez, Samariterkiez. Auch in der Singerstraße in Berlin-Mitte wurde mittels Pollern eine autofreie Schulstraße angeordnet; die Klage dagegen wurde abgewiesen. Nur im Nesselweg in Pankow wurde Anfang 2024 eine Klage stattgegeben: Hier wurden Poller aufgestellt, ein Gesamtkonzept gab es jedoch nicht. Im Kaskelkiez hat die CDU, unterstützt von AfD und BSW, nun zum dritten Mal einen Antrag gestellt, den Kiezblock in der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg zu beenden – zum dritten Mal ohne Erfolg. Das Berliner Oberverwaltungsgericht schreibt richtungsweisend: „Nicht für jede Straße oder jeden Straßenabschnitt, in dem verkehrsrechtliche Maßnahmen angeordnet werden, muss eine besondere Gefahrenlage festgestellt werden“. Damit verweist das Gericht auf das Gesamtkonzept, das die Maßnahmen begründet. Verkehrsberuhigung hat eine lange Geschichte, die bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts zurückgeht. Vor etwa 100 Jahren war der öffentliche Raum noch dicht bevölkert mit kreuz und quer laufenden Passant*innen und spielenden Kindern. Hier wurde Handel betrieben. Es war kein Verkehrsraum, wie wir ihn heute kennen. Mit dem Kfz-Verkehr änderte sich dies. 1910 wurde deshalb geregelt, dass Automobile innerorts eine Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h haben durften. Ab den 1930er Jahren bekam der Autoverkehr erstmals Vorrang vor Fußverkehr, Radverkehr und anderen Nutzungen. 1970 kamen noch 21.332 Menschen im Straßenverkehr ums Leben. Anschließend wurde u. a. deshalb die Blinkerpflicht beim Abbiegen und das rot-weiße, achteckige Stoppschild eingeführt. Heute sterben immer noch mehr als 2.500 Menschen jährlich, weil die Straßen nicht sicher genug sind. Die Poller reihen sich in diesen Kontext ein – sie sind der Versuch, die Städte sicherer und lebenswerter zu machen. „Statt über Poller zu reden, braucht Berlin eine Debatte über die Zukunft der Stadt: Wie schaffen wir sichere Wege für alle und Hitzeschutz im Sommer, während wir gleichzeitig mobil sein wollen? Wo sind wir bereit, Kompromisse einzugehen, und welche Maßnahmen bringen am meisten für die große Mehrheit der Berliner*innen? Mit einem breiten Blick auf die ganze Stadtgemeinschaft kämen wir viel schneller zu Lösungen, als wenn wir nur über Poller reden. Sie bremsen sinnvollerweise den Durchgangsverkehr aus, aber sie stehen inzwischen auch in manchen Köpfen im Weg, wenn es darum geht, Lösungen für Berlin zu finden,” kommentiert Ragnhild Sørensen von Changing Cities. |
